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Fotografen über USA-Roadtrip "Das konservative Lager hat Angst vor dem Niedergang der USA"

Sie reisten 24.000 Kilometer durch die USA, um der Zerrissenheit des Landes auf die Spur zu kommen. Hier erzählen die Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer von Familien, die sich selbst an Thanksgiving aus dem Weg gehen.
Ein Interview von Carola Padtberg
Foto:

Mathias Braschler & Monika Fischer / Hartmann Books

Zu den Personen

Das Fotografenpaar Mathias Braschler, Jahrgang 1969, und Monika Fischer, Jahrgang 1971, lebt und arbeitet in der Schweiz und in New York. Sie haben sich auf die Dokumentation von Menschen aller Hintergründe und Kulturen spezialisiert. Wichtige Projekte waren "China", "The Human Face of Climate Change", "Act Now!", "Faces of Football". Braschler/Fischer gewannen zahlreiche Preise, darunter einen World Press Photo Award. Für den Bildband "Divided We Stand" (Hartmann Books) ist das Duo in einem zu einem kleinen Wohnmobil mit integriertem Pop-up-Fotostudio ausgebauten Lieferwagen monatelang durch die USA gereist.

SPIEGEL: Sie haben einen langen Roadtrip unternommen. Für Ihren neuen Bildband reisten Sie in einem zum Fotostudio umgebauten Lieferwagen 24.000 Kilometer durch die USA, fotografierten Menschen und fragten sie nach ihrer Meinung. Was wollten Sie herausfinden?

Mathias Braschler: Warum das Land und seine Leute so gespalten sind wie noch nie. Wir kennen die USA recht gut, haben lange dort gelebt - auch 2016, als Donald Trump Präsident wurde. Trotzdem war sein Triumph ein Schock, und uns wurde klar, dass wir die Zerrissenheit der Gesellschaft unterschätzt hatten. Auf dieser Reise haben wir nach den Menschen gesucht, die sonst nicht gehört werden.

SPIEGEL: Zum Beispiel Brenda, eine Pferdetrainerin aus Kentucky. Ihr Blick ist trotzig, die rechte Hand greift zum Revolverhalfter. Sie findet, Donald Trump sei von Gott geschickt worden, damit der Teufel nicht die Macht übernehme. Eine drastische Position, um damit ein Buch zu beginnen, oder?

Braschler: Brenda hat eine starke Meinung, jedoch keine außergewöhnliche. Hardcore-Trump-Fans, von denen es nicht wenige gibt, haben eben zum Teil extreme Positionen. Sie glauben wirklich: "Trump rettet unser Land".

Monika Fischer: Die Frau gehört zu einer interessanten Kategorie von Trump-Wählern, die nicht von ihm profitieren. Trump unterstützt nicht Brendas sozioökonomische Interessen - er macht ja vorrangig Politik für Unternehmen und reiche Individuen. Brenda wählt ihn gegen ihren eigenen Nutzen.

SPIEGEL: Man liest in Ihrem Buch aber auch, dass sich viele Frauen von ihrem Präsidenten übergangen fühlen: Eine Tänzerin glaubt, Trump würde ihr niemals zuhören, weil sie "ein Niemand sei", mehrere Frauen sind über die Abtreibungsgesetze empört. Ist die politische Spaltung auch eine Frage des Geschlechts?

Fischer: Frauen links der Mitte fühlen sich von Trump oft sehr abgestoßen. Als wir eine Visagistin in Las Vegas gefragt haben, was sie Trump sagen würde, wenn sie eine Minute Zeit hätte, ist sie richtig abgegangen: 'Reiß dich verdammt noch mal zusammen und fang an, Frauen richtig zu behandeln, da wir es sind, die dieses Land am Laufen halten, und du versuchst uns zu unterdrücken, als ob wir aussterben sollten.' Aber wir haben auch oft von Frauen gehört, dass sie niemals eine Frau ins Präsidentenamt wählen würden.

SPIEGEL: Fanden sie Trumps Frauenbild also in Ordnung?

Braschler: Absolut. Viele Frauen im republikanischen Lager lassen nichts auf ihren Präsidenten kommen. Sie verzeihen ihm sehr viel, auch seine offensichtlichen Lügen, seinen Sexismus, sogar dann, wenn sie ihn als Charakter eigentlich gar nicht mögen. Sie glauben, er rettet das alte Amerika.

Fotostrecke

Gesichter Amerikas

Foto: Mathias Braschler & Monika Fischer / Hartmann Books

SPIEGEL: Das alte Amerika?

Braschler: Das konservative Lager hat Angst vor dem Niedergang der USA als "the best country ever". Immer wieder hört man, die USA sei "the greatest nation". Das beschwören auch Leute, die die USA noch nie verlassen haben. Es wird nicht hinterfragt. Und Trump schürt bewusst die diffuse Angst, dass das bald für immer vorbei sein könnte.

SPIEGEL: Gibt es denn tatsächlich Dinge, die sich für immer verschlechtert haben?

Fischer: Drastisch ist die Masse der Menschen, die auf der Verliererseite stehen, die aus der Armut nicht herauskommen. Die meisten gehen nicht wählen, weil sie glauben, ihre Stimme zähle sowieso nicht. Die Meinung, dass "die da oben" sowieso machen, was sie wollen, ist leider sehr verbreitet. Die Menschen sind verdrossen, weil ihre eigene Meinung keinen Wert zu haben scheint.

SPIEGEL: Weil beide Lager so ignorant sind, wie ein Hollywood-Produzent in ihrem Buch sagt? Weil die Menschen so unversöhnlich sind?

Braschler: Ja. Ein Grundproblem ist auch das Zwei-Parteien-System, das die Lagerbildung befördert. Das Leben ist aber komplizierter als Republikaner versus Demokraten. Auch das Bildungssystem der USA trägt daran Schuld. Es bringt zwar brillante Köpfe hervor, regt die Allgemeinheit aber nicht zum kritischen Denken an.  

Fischer: Dass Diskurse so unerwünscht sind, führt dann dazu, dass sich die Leute in ihre Bubble zurückziehen. Sie informieren sich in Medien, die ihre Meinung propagieren. Unsere Protagonisten haben erzählt, dass sie Familienmitgliedern, die eine andere politische Meinung haben, ausweichen, damit es beim Thanksgiving keinen Streit gibt. Drei Feuerwehrleute berichteten uns, dass sich das Team bei der Arbeit eine politische Schweigepflicht auferlegt hätte - ansonsten wäre wohl der Ablauf gefährdet, so viel Konfliktpotenzial liegt in der Politik.

SPIEGEL: Durch Schweigen werden Differenzen nicht gelöst. 

Braschler:  Und noch viel weniger massive Probleme wie der Drogenkonsum. Der hat ein viel größeres Ausmaß, als wir angenommen hatten. Wir hatten natürlich davon gehört. Aber wenn man unterwegs in den USA überall Drogen sieht, wenn jeder jemanden kennt, der abhängig ist von Opioiden oder Crystal Meth, ist das krass. Für mich ist das ein Synonym der Hoffnungslosigkeit.

SPIEGEL: Woher kommt denn diese Resignation?

Braschler: Viele schienen frustriert, dass das Versprechen des American Dream gebrochen wurde. Wer sich genug anstrengt, kann alles erreichen? Daran glauben die Leute nicht mehr. Die Realität ist viel hoffnungsloser, und einige dröhnen sich dann eben zu.

SPIEGEL: Oder sie kaufen Waffen. Viele Menschen posierten für Sie mit Schusswaffen.

Braschler: Leider. Eine Waffenladenbesitzerin hat uns erzählt, dass ihre Verkäufe immer dann hochgehen, wenn ein demokratischer Präsident im Amt sei, das sei "ihr bester Verkäufer". Auch nach Amokläufen deckten sich die Leute ein - es sind Hamsterkäufe, weil sie befürchten, bald würden die Waffengesetze verschärft. Auch diese Angst instrumentalisiert Donald Trump ja.

SPIEGEL: Glauben Sie, seine Taktik der Spaltung geht ein zweites Mal auf?

Braschler: Nein. Seine Regierung hat in der Coronakrise so massiv versagt, dass ich glaube, dass die Mehrheit der Wechselwähler in diesem Jahr ganz genau hinschauen wird, wie es dem Land geht. Und sich dann für die Demokraten entscheidet.

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