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Architektur

Ricardo Bofill: Architektur überdauert das Leben

Maria John Sánchez mit EFE
15. Januar 2022

Berühmt wurde Ricardo Bofill für seine Sozialwohnungsprojekte und postmodernen Bauten weltweit. Nun ist der Stararchitekt im Alter von 82 Jahren gestorben.

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Spanien Architektur Ricardo Bofill ist verstorben
Ricardo Bofill vor einem seiner Bauprojekte in Karlin, PragBild: CTK Photo/Stanislav Zbynek/dpa/picture alliance

Als einer der international renommiertesten Vertreter der spanischen Architektur des 20. Jahrhunderts hinterlässt Ricardo Bofill Hunderte von Gebäuden überall auf der Welt. Seine ikonischen Bauten waren innovative Antworten auf städtebauliche Herausforderungen, mit denen sich Bofill dem rationalistischen und uniformen Baustil entgegenstellte. 

Der Flughafen von Barcelona, das Nationaltheater von Katalonien, die Shepherd School of Music an der Rice University in Texas und das Citadel Center in Chicago sind nur einige seiner bekanntesten Werke. Berühmt wurde er in den 1970er und 1980er-Jahren für seine großangelegten Wohnungsbauprojekte.

Runder Wohnblick mit vielen Fenstern, davor eine ebenfalls rund angelegte Treppe
Postmoderne Wohnutopie: "Les Espaces d'Abraxas" in einem Vorort von Paris. Rund 600 Wohnungen sind hier enstandenBild: Leon Tanguy/MAXPPP/dpa/picture alliance

"Versailles für das Volk"

Als Sohn eines Architekten wuchs Bofill unter der Franco-Diktatur in Barcelona auf, wo er in den 1950er-Jahren Architektur studierte. Nachdem er 1957 wegen seiner politischen Aktivitäten gegen das Franco-Regime der Architekturschule verwiesen wurde, führte er sein Studium in der Schweiz fort.

In den 1960er Jahren kehrte er nach Barcelona zurück und brachte eine Gruppe von Architekten, Ingenieuren, Soziologen und Philosophen zusammen, um in einer alten Fabrikhalle ein Architekturstudio zu gründen. Damit wollte Bofill die Architektur verändern und nach Alternativen für den sozialen Wohnungsbau suchen.

Aus dieser Ambition entstanden Bauprojekte wie das Viertel "Antigone" in Montpellier: auf über 400.000 Quadratmetern entwarf Bofill seine Vorstellung eines lebenswerten Stadtviertels. Die Sozialwohnungen, die hier entstanden, entsprachen von der Bauweise her nicht den typischen Plattenbauten, sondern vielmehr antiken Tempeln und Palästen.

Eine lange Reihe beiger Säulen- ähnlich einer Tempelanlage - bildet die Vorderfront des länglichen Gebäudes. Davor eine grüne Wiese.
Antigone Wohnkomplex: Mit seinen Bauten revolutionierte Bofill den StädtebauBild: Jose Antonio Moreno castellano/imageBROKER/picture alliance

Überall auf der Welt - von Stockholm bis Japan, von den Vereinigten Staaten bis in den Nahen Osten - entwarf Bofill Plätze, Gebäude und Viertel, die seinen städtebaulichen Vorstellungen entsprachen. Demnach sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen und die Stadt aus Straßen und Plätzen für die Bürger bestehen. 

"Nichts wiederholen"

Vom legendären spanischen Architekten Gaudí - so sagte er es bei der Verleihung seiner Ehrendoktorwürde durch die Polytechnische Universität in Katalonien im Jahr 2021 - habe er gelernt, "dass sich nichts wiederholen lässt, dass kein Projekt wie das andere sein kann. Man kann nicht überall auf der Welt die gleiche Architektur machen." Mit einem tieferen Wissen über die verschiedenen Teile der Welt verändere sich die Sichtweise, "denn von jedem Ort aus sieht man einen anderen Blickwinkel auf den Globus".

Während seine späteren Bauten dem modernen Klassizismus zugeordnet werden können, haben Bofills frühere Bauten mehr Ähnlichkeit mit Tetris-Bauklötzen. Mithilfe von günstigen, vorgefertigten Betonteilen setzte er seine Bauten in immer neuen geometrischen und abstrakten Formen zusammen. Ein Ergebnis dieser originellen Methode ist das ikonische Wohngebäude "Walden 7", das er 1975 erbaute, das aber aufgrund des schnellen Verfalls der Fassade auch auf Ablehnung stieß.

Braune Hochhäuer mit runden Fensternischen unter blauem Himmel
Vom Wohnprojekt Walden 7 in der Nähe von Barcelona waren nicht alle begeistertBild: McPHOTO/viennaslide/blickwinkel/picture alliance

Bofill stellte sich mit seiner Bauweise gegen die immer gleichen, grauen Sozialwohnungen, die in anderen Städten in den 1970er-Jahren entstanden: "Ich glaube, dass die Räume, die starke Emotionen hervorrufen, der Exzellenz am nächsten kommen", so Bofill bei seiner Dankesrede für die Ehrendoktorwürde. Er sei der Meinung, dass wir "lernen müssen, unsere Häuser, unsere Dörfer, Viertel und Städte neu zu gestalten". 

Inspiration für Filmkulissen

Bofill war auch leidenschaftlicher Filmemacher und führte 1991 bei den Filmfestspielen von Venedig seinen Experimentalfilm "Esquizo" vor. Seine Bauten inspirierten wiederum zahlreiche Filme. In den labyrinthischen Treppenkonstruktionen seiner "Muralla Roja" erkennen Fans zum Beispiel eine Inspiration für die Filmkulisse des südkoreanischen Netflix-Hits "Squid Game".

Rosa Treppenkonstruktion in "Muralla Roja"
Die "Muralla Roja" am Mittelmeer - Inspiration für die "Squid Game"-Kulisse?Bild: J. Hildebrandt/imageBROKER/picture alliance

Die gigantischen postmodernen Fassaden seines Großsiedlungsprojekt "Les Espaces d’Abraxas" im Pariser Vorort Noisy-le-Grand wurden von Regisseur Terry Gilliam in seinem dystopischen Film "Brazil" im Jahr 1984 in Szene gesetzt. Auch als Filmkulisse für den dritten Tribute von Panem-Film "Mockingjay" diente der Bau.

Im Laufe seines Lebens erhielt Ricardo Bofill für sein architektonisches Werk zahlreiche Auszeichnungen. Im Jahr 1985 wurden seine Arbeiten im Museum of Modern Art in New York ausgestellt. 1995 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Metz in Frankreich, 2020 die der Polytechnischen Universität in Katalonien. "Ich habe mich für die Architektur entschieden, weil ich dachte, dass das architektonische Kunstwerk die Zeit des eigenen Lebens überdauert", sagte er bei der Verleihung im September 2021. Nun ist er im Alter von 82 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.

Maria John Sánchez Autorin