In der DDR lernte er, den Mund zu halten: So gelangen ihm in Nordkorea Fotos

Andreas Taubert bereist als einer von ganz wenigen Fotografen seit mehr als 30 Jahren Nordkorea. Seine Fotos stellt jetzt die Fotogalerie Friedrichshain aus.

An der Grenze zwischen Nord- und Südkorea.
An der Grenze zwischen Nord- und Südkorea.Andreas Taubert

Ja, Andreas Taubert hat auch Fotos gemacht, die den Machthabern Nordkoreas wohl gefallen. Das von den fünf jungen Frauen zum Beispiel, die vor einer schicken Hochhauskulisse spazieren gehen. Sie halten bunte Sonnenschirme in den Händen, der Himmel ist strahlend blau, und Pjöngjang wirkt so modern und wie Singapur oder Frankfurt am Main. Aber dann gibt es noch eine andere Aufnahme von einem solchen modernen Hochhaus, nur dass Andreas Taubert der Fassade ganz nahe gerückt ist.

Sein von der Regierung gestellter Begleiter wird sich nichts dabei gedacht haben. Andreas Taubert schien ja auch in diesem Moment aufzunehmen, was die Regierenden von ihrem Land zeigen wollen: den Fortschritt, die guten Lebensbedingungen, die Modernität. Aber auf diesem anderen Hochhausbild sieht man, dass da auf den Balkonen Gemüse angebaut wird. „Und wenn man ganz genau hinguckt, sieht man diese hölzernen Buchten, das sind Karnickelställe“, sagt Taubert. Hühner würden auf diesen Balkonen auch gehalten. Dieses Foto erzählt also, dass es nicht genug Essen zu kaufen gibt in diesem Land oder es vielleicht zu teuer ist und die Menschen versuchen müssen, sich selbst zu versorgen. Beide Bilder sind derzeit in der Andreas Tauberts Nordkorea-Fotografie gewidmeten Ausstellung „Freiheit hinter Gittern“ in der Fotogalerie Friedrichshain zu sehen.

Pjöngjang, Nordkorea: junge Frauen vor moderner Architektur.
Pjöngjang, Nordkorea: junge Frauen vor moderner Architektur.ANDREAS TAUBERT PHOTOGRAPHY

Andreas Taubert, 1964 in Leipzig geboren, aber eigentlich Berliner, wie er betont, hat an der Sektion Journalistik in Leipzig studiert. Dann fiel die Mauer und er hat seinen Abschluss nicht mehr gemacht. Er wollte lieber die ganzen Aufträge annehmen, die er plötzlich hatte. Im Jahr des Mauerfalls war er auch zum ersten Mal in Nordkorea. Die Redaktion des Jugendmagazins Neues Leben hatte ihn im Sommer 1989 nach Pjöngjang geschickt. Er sollte dort die Weltfestspiele der Jugend fotografieren. Dass das der Anfang einer langen Beziehung zu diesem Land war, wusste er damals noch nicht, aber seitdem ist Taubert 20 Mal in Nordkorea gewesen. In den 1990er-Jahren war er einer von ganz, ganz wenigen Fotografen, die in das Land durften.

Andreas Taubert zeigt auch den Alltag in Nordkorea

Taubert ist im Auftrag von Zeitungen und Magazinen gereist, er hat Regierungsdelegationen begleitet, war im Tross von Gregor Gysi und Madeleine Albright. Er war dabei, als die EU überschüssiges Rindfleisch in das Land lieferte, um Nordkorea zu unterstützen und dabei die heimischen Preise zu stabilisieren. 2017 fotografierte er sogar im Auftrag von Nordkorea selbst. Das Regime hoffte, mithilfe dieser Bilder mehr Touristen ins Land locken zu können. Im letzten Jahr vor der Pandemie, 2019 also, kamen 800. Das will die nordkoreanische Regierung ändern, schon wegen der Devisen, die der Tourismus ins Land bringt. Andreas Taubert fährt im April 2023 mit einer Reisegruppe dorthin – im Auftrag Nordkoreas. Noch sind Plätze frei.

Andreas Tauberts Lieblingsfoto: ein sinkendes Schiff in Nordkorea, Wonsan.
Andreas Tauberts Lieblingsfoto: ein sinkendes Schiff in Nordkorea, Wonsan.ANDREAS TAUBERT PHOTOGRAPHY

Andreas Taubert hat immer versucht, den nordkoreanischen Alltag zu erwischen. Viele andere wären an dem maroden Sicherungskasten an einer Hauswand vorbeigegangen, Taubert hat ihn fotografiert. Gar nicht, um zu zeigen, wie kaputt das Land ist, wenigstens nicht nur. „In Deutschland könnte man so etwas auch finden“, sagt er.

Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat etwa 70.000 DDR-Bilder von Andreas Taubert gekauft, mit der Begründung, sie zeigten nicht nur das Erwartbare, sondern auch das Alltägliche. Das gilt auch für seine Aufnahmen aus Nordkorea, das Bild von der Arztpraxis, von einem Kindergarten oder dem Wohnzimmer, in dem ein ernster kleiner Junge steht, am Fenster hängen Chilischoten, aufgezogen zum Trocknen.

Nordkorea, Wonsan: Der Arzt Un Ja Su untersucht eine Patientin in der Poliklinik bei der LPG Zun Zam Ni.
Nordkorea, Wonsan: Der Arzt Un Ja Su untersucht eine Patientin in der Poliklinik bei der LPG Zun Zam Ni.ANDREAS TAUBERT PHOTOGRAPHY

Es ist das Verbotene, das ihn an Nordkorea reizt, die Hindernisse. Er hat sich bald nach der Wende auf Werbefotografie konzentriert. „Und einem Werbefotografen werden alle Wünsche erfüllt“, sagt er. In Nordkorea heißt es dagegen oft erst mal Nein. Wenn er davon erzählt, hat man den Eindruck, dass es ihm auch Spaß macht, seine Expertise als DDR-Bürger auf dieses Land anzuwenden, um etwas zu erreichen. „Ich habe immer den Mund gehalten und nicht diskutiert“, sagt er. Manches sei dann doch möglich geworden.

Andreas Taubert ist immer mit nordkoreanischer Begleitung unterwegs, manche würden sagen, er stehe unter Bewachung. Ihn selber stört das nicht. Im Gegenteil. „Den Koreanern ist eingetrichtert worden, dass jeder Ausländer ein Feind ist.“ Unter solchen Umständen wirkt der Begleiter auf die Menschen, denen er beim Fotografieren begegnet, eher beruhigend.

Sein Lieblingsfoto in der Ausstellung ist ein altersschwaches Schiff, das dabei ist unterzugehen. Er mag die Endzeitstimmung, die die Aufnahme ausstrahlt. Melancholisch wirkt auch die Fotografie, die er durch ein gesprungenes Fenster gemacht hat. Man sieht ein Paar auf dem Balkon, vor ihnen ein Tisch mit Geschirr, die beiden drehen dem Betrachter den Rücken zu, ihr Blick geht hinaus aufs Meer, Richtung Japan, ein Land, das für sie unerreichbar ist.

Andreas Taubert – Nordkorea bis zum 26. August in der Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, Di.–Sa. 14–18 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr. Am 4. August um 19 Uhr gibt es ein Künstlergespräch mit Führung.