Am Mittwoch feiert "Dear Memories" Premiere in den Hamburger Zeise Kinos. Es ist eine Dokumentation von und mit Thomas Hoepker, dem Fotografen der legendären Fotoagentur Magnum. Hoepkers Bilder wie "Muhammad Ali showing off his right Fist" oder "Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan, 11. September 2001", das Bild der Gruppe Menschen, die scheinbar unbeteiligt auf der anderen Seite des Hudson River sitzt, während im Hintergrund die Twin Towers brennen, sind weltberühmt. 2017 erhält Hoepker die Diagnose Alzheimer und so folgt er gemeinsam mit Frau Christine Kruchen seinem Wunsch, noch einmal auf Reisen zu gehen – auf einen Roadtrip durch die USA voller Erinnerungen aus 40 Jahren als Fotograf, die langsam verblassen. Begleitet hat ihn dabei der 44-jährige Hamburger Regisseur und Filmproduzent Nahuel Lopez. Wie das war, erzählt er ZEIT-ONLINE-Autorin Lilli Gavrić.

ZEIT ONLINE: Herr Lopez, warum wollten Sie einen Film über den Magnum-Fotografen Thomas Hoepker machen?  

Der Hamburger Regisseur Nahuel Lopez, 44, hat Thomas Hoepker und seine Frau Christine Kruchen bei ihrem Roadtrip begleitet. © DEAR MEMORIES

Nahuel Lopez: 2006 habe ich im Museum für Kunst und Gewerbe eine große Retrospektive von Thomas Hoepker besucht. Direkt am Eingang empfing einen in zwei mal drei Meter Größe sein berühmtes 9/11-Bild. Das war beeindruckend. Das Foto zeigt fünf junge Menschen, die in diesem Moment noch eine Welt repräsentierten, die hinter ihnen gerade unterging. Als die New York Times das Bild 2005 veröffentlichte, wurde es zu einem der meistdiskutierten Fotos der Welt. Denn eine der abgebildeten Personen fühlte sich falsch dargestellt durch das Bild. Für Thomas war es ein Schnappschuss, den er für nicht besonders interessant gehalten hatte. Erst die Entdeckung durch einen Kurator und die Interpretation von außen machten das Bild zur Ikone. Jedenfalls war bei dieser Ausstellung auf der Texttafel neben diesem Bild auch das Geburtsjahr von Thomas zu lesen, 1936. Das hat mich damals total überrascht. Ich hatte einen Mann um die 40 erwartet, was an der Fotografie lag, die so frisch war und modern in der Bildsprache. Das fand ich spannend.

ZEIT ONLINE: Wie kam es dann zu Ihrer Zusammenarbeit?  

Lopez: Den Wunsch, etwas über Magnum Photos zu machen, hatte ich schon lange. Hoepker war dort einer der big five, dazu Deutscher. Ich schrieb also 2019 seiner Agentin. Drei Wochen später kam eine E-Mail seiner Frau Christine Kruchen inklusive Einladung zum Frühstück nach Berlin. Beim Treffen war Thomas eher ruhig, machte ab und zu seine Scherze und fotografierte mich ständig. Wir fanden schnell Gemeinsamkeiten und konnten uns die Zusammenarbeit gut vorstellen.  

ZEIT ONLINE: Haben Sie da schon von seiner Erkrankung gewusst? 

Lopez: Ja, Christine Kruchen sagte an dem Tag zu mir: "Aber eines musst du wissen: Thomas hat Alzheimer." Da habe ich erst mal geschluckt. Mein nächster Gedanke war aber: Der Mann, der mit seinen Fotografien ein kulturelles Gedächtnis geschaffen hat, verliert sein eigenes. Und plötzlich passte alles zusammen. Er hatte sich gewünscht, einen Roadtrip zu machen, angelehnt an Heartland: An American Roadtrip in 1963, weil das den Beginn seiner Karriere markierte. Da war klar: Da komme ich mit.  

ZEIT ONLINE: Thomas Hoepker sagt: "Jedes Foto ist auch eine Art Selbstporträt." Sie haben 2016 für Ihren Film El Viaje Rodrigo González, den Bassisten der Band Die Ärzte, nach Chile auf der Suche nach seinen musikalischen Wurzeln begleitet. Gilt, was Hoepker über seine Fotos sagt, auch für Ihre Filme? 

Lopez: 100-prozentig. El Viaje war motiviert durch meine eigene Geschichte. González und ich sind ähnlich aufgewachsen, beide in Hamburg mit chilenischen Wurzeln, er ist bloß zehn Jahre älter wie ein großer Bruder. Die Idee zum Film war damals während einer Reise zu den Mapuche entstanden, einem indigenen Volk im Süden Chiles. Also ja, alle meine Geschichten haben auch mit mir zu tun.  

ZEIT ONLINE: Wie passt Vor dem Knall, Ihr Film über den G20-Gipfel in Hamburg ins Bild? 

Lopez: Mein Vater war in Chile in der Studentenbewegung der Sechzigerjahre sehr aktiv, die Salvador Allende unterstützte und im Militärputsch blutig endete. Mein Vater hat Chile bereits Ende der Sechziger verlassen, um in Brasilien, Portugal und Deutschland Philosophie zu studieren. Er ist dann nach dem Putsch in Hamburg hängen geblieben, wie viele Exilchilenen auch. Viele von ihnen sind ehemalige Linke, Kämpferinnen oder Kämpfer, Kommunisten oder Kulturschaffende, die dort verfolgt worden sind. Deswegen hat mich dieses Milieu und die Dynamik hinter der Bewegung schon immer interessiert. 

ZEIT ONLINE: Der Roadtrip zu Dear Memories startete 2020 während der Pandemie. 

Lopez: Ja, die zweite Welle stieg gerade heftig an, es gab noch keine Impfungen. Glücklicherweise habe ich Christine aber davon überzeugen können, die Reise zu machen, solange es mit Thomas Erkrankung noch geht. Zudem war es ein historischer Moment zwischen Pandemie und Wahlkampf in den USA. Leider konnten wir mit Menschen kaum in Kontakt treten, wenn dann nur auf Distanz. Es gibt eine Begegnung, der ich bis heute hinterhertrauere. Wir haben in Ruidoso in New Mexico einen Grundschullehrer im Reservat der Mescaleros kennengelernt, der uns zu sich nach Hause einladen wollte. Furchtbar nett. Wir konnten leider seine Einladung nicht annehmen, das konnten wir nicht machen, mit Thomas als Hochrisikopatienten, alle in einem Raum, keiner geimpft. Und so ist letztlich ein Film entstanden, der sich mehr auf die beiden konzentriert. Das finde ich im Nachhinein sehr schön. 

ZEIT ONLINE: Christine Kruchen erzählt ihm im Film Anekdoten von ihren gemeinsamen Reisen, fragt: "Kannst du dich erinnern?" Manchmal sagte Hoepker Ja, oft Nein. Erinnert er sich an Ihren Trip? 

Lopez: Wir hatten ein Abschlussessen mit dem ganzen Team in San Francisco, ich bedankte mich für die tolle Zeit und Christine Kruchen sagte: "Ich bin schon wahnsinnig gespannt auf den Film." Und Thomas Hoepker guckt sie an und sagt: "Welcher Film?" 

"Dear Memories– Eine Reise mit dem Magnum-Fotografen Thomas Hoepker" läuft in Hamburg als Premiere am 22. Juni 2022, 20 Uhr in den Zeise Kinos. Mit dabei sind Regisseur Nahuel Lopez und im Livechatinterview Thomas Hoepker und seine Frau Christine Kruchen.